Ausstellung in Berlin: Unsere Kindheit auf der Straße

Berlin – Es sind Schicksale, die uns betroffen machen und bei denen wir trotzdem viel zu oft wegsehen: Kinder und Jugendliche, die statt in einem Bett im Schutz des Elternhauses, im Freien schlafen.

Auf bis zu 6500 schätzen Experten ihre Zahl bundesweit, in Berlin sind es mehrere Hundert. Ihr Kinderzimmer ist die Straße.


Bis zum 25. November ist die Ausstellung „entkoppelt“ im Hauptbahnhof zu sehen
Bis zum 25. November ist die Ausstellung „entkoppelt“ im Hauptbahnhof zu sehenFoto: Guenther

Annabel Trautwein (34) macht das Wegsehen jetzt schwerer. Gemeinsam mit dem Fotografen Mauricio Bustamante hat die Journalistin Straßenkids interviewt und ihre Geschichten aufgeschrieben.

Seit Donnerstag sind ihre Porträts und ihre Geschichten in der Ausstellung „entkoppelt“, gefördert von der Stiftung der Deutschen Bahn, am Hauptbahnof zu sehen.

Funny (21) schafft MSA trotz Obdachlosigkeit

Funny (21, Name geändert) ist eine der Jugendlichen. Sie steht vor ihrem eigenen Foto auf einer dunklen zwei Meter hohen Schautafel. „Es ist toll dass unsere Geschichten erzählt werden“, sagt sie, „dass man nicht einfach vorüber geht und wegschaut.“ Sie hat selbst jahrelang ohne eigene Wohnung auf der Straße gelebt.


Funny (21) vor ihrem Porträt am Hauptbahnhof. Auf ihren Oberarmen sieht man die Narben ihrer Selbstverletzung
Funny (21) vor ihrem Porträt am Hauptbahnhof. Auf ihren Oberarmen sieht man die Narben ihrer SelbstverletzungFoto: Guenther

„Mit 14 ging es los“, erzählt sie. „Ich bin immer wieder von zu Hause abgehauen, meine Eltern hatten ihre eigenen Probleme und ich immer das Gefühl, ich störe nur.“ Sie schläft bei Freunden, manchmal im Freien: „Ich hab zum Beispiel angeboten, dass ich auf die Katze aufpasse, aber dafür übernachten darf“, sagt sie.

Sie hat psychische Probleme, ritzt sich die Oberarme auf. „Ich habe getrunken und Drogen genommen“, erzählt sie. „Am Ende drei, vier Flaschen Wodka am Tag.“ Trotzdem macht sie ihren MSA, beginnt eine Ausbildung.

Doch wenn sie keine Couch findet, Freunde nicht Zuhause sind, läuft sie stundenlang durch die Nacht, sucht einen Unterschlupf. „Ich bin mit Fremden mitgegangen, weil sie nett waren. Oft ist das nach hinten losgegangen und ich wurde missbraucht. Ich habe mit ihnen geschlafen, obwohl ich es nicht wollte, nur um ein Dach über dem Kopf zu haben.“

„Es gibt keine typische Geschichte“

Andere Jugendliche der Ausstellung erzählen ähnliches. Ein Mädchen nimmt mit 12 das erste Mal Heroin, viele werden Zuhause geschlagen oder fühlen sich in der Schule als Außenseiter.

„Aber es gibt keine typische Geschichte“, sagt Annabel Trautwein, „jeder Fall ist ein Einzelfall.“ Und die Erzählungen machen auch Hoffnung: „Es ist beeindruckend wie viele der Jugendlichen anderen helfen, sich in Projekten gegen Armut oder Wohnungslosigkeit selbst engagieren.“


Bahnchef Richard Lutz (l.) eröffnete die Ausstellung von Fotograf Mauricio Bustamante (r.) und Autorin Annabel Trautwein (M.)
Bahnchef Richard Lutz (l.) eröffnete die Ausstellung von Fotograf Mauricio Bustamante (r.) und Autorin Annabel Trautwein (M.)Foto: Guenther

Auch Funny schreibt mittlerweile für die Obdachlosenzeitung „Karuna Kompass“. Seit einem Jahr hat sie eine eigene Wohnung. „Ich bin nicht mehr die arme Maus“, sagt sie, „ich habe auch ein gutes Leben verdient.“

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