Clemens Fuest
Der Ifo-Präsident warnt vor einer möglichen „Coronasklerose“.
(Foto: imago/IPON)
Düsseldorf „Wie wir unsere Wirtschaft retten — Der Weg aus der Corona-Krise“, so heißt das neue Buch von Clemens Fuest, dem Chef des Ifo-Instituts. Der Anspruch ist damit gesetzt – und mancher Leser könnte allein den Titel als intellektuelle Anmaßung empfinden. Denn diese Krise ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Die Möglichkeiten, aus historischen Analogien zu lernen, sind ebenso begrenzt wie die Verfügbarkeit ausgefeilter wissenschaftlicher Modelle, die sich auf diese Krise anwenden ließen.
Ohne Zweifel bewegt sich die Wirtschaftspolitik im Bereich des Vortastens. Die Kanzlerin nennt das „auf Sicht fahren“, Wissenschaftler wie Fuest sprechen von „Versuch und Irrtum“. Doch all die Unsicherheit und Ungewissheit kann die Politik am Ende doch nicht davon abhalten, aktiv zu werden – und zwar massiv. Der Staat schwingt sich zum Retter der von ihr zwangsstillgelegten Wirtschaft auf, greift massiv ins Wirtschaftsgeschehen ein und verschuldet sich in einem Maße und einer Geschwindigkeit, wie es bislang allenfalls in Kriegszeiten zu sehen war.
Manchmal aber ist das Risiko des Nichthandelns größer als das des Handelns. Und das ist genau der Punkt, an dem Fuest ansetzt. Wir brauchen zumindest eine Orientierung bei diesem waghalsigen Rettungsprozess. Der Ifo-Chef will sein Buch als Debattenbeitrag auf der Suche nach dieser Orientierung verstanden wissen — nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Fuest ist Marktwirtschaftler durch und durch — trotzdem bestreitet er nicht, dass der Staat die Rolle des Retters spielen muss. Nur wie er es macht und vor allem wie der Exit gelingen kann, das ist das zentrale Thema dieses Buchs. Stark ist das Buch in der Beschreibung und Analyse der Krise.
Recht vorsichtig und allgemein ist Fuest bei seinen politischen Empfehlungen. Das Steuersystem wachstumsfreundlicher gestalten, die Digitalisierung vorantreiben, die Globalisierung nicht aufgeben, sondern weiterentwickeln und natürlich das Bildungssystem so reformieren, dass Chancengleichheit nicht nur in Sonntagsreden beschworen, sondern auch gelebt wird – das sind die zentralen Forderungen Fuests.
Clemens Fuest: Wie wir unsere Wirtschaft retten. Der Weg aus der Corona-Krise.
Aufbau Verlag
277 Seiten
18 Euro
Eine klare Warnung vor den Allmachtfantasien des Staates zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Ja, Corona werde – „wie so viele Krisen zuvor“ die Diskussion über die Rolle des Staates einmal mehr verändern. Und wer wollte bezweifeln, so Fuest, dass der Staat mit seiner fast grenzenlosen Finanz- und Ordnungsmacht der einzige ist, der handlungsfähig bleibt. Aus seiner Sicht sind auch die immens teuren Stützungsaktionen für den Staat am Ende womöglich das bessere Geschäft als eine historisch nie da gewesene Pleitewelle im Land zu riskieren.
Aber, und dieses Aber ist groß: So wenig sich ein „Neoliberalismus zur Bewältigung der Probleme eignet, so wenig taugt jener Neodirigismus“. Wohlstand entsteht durch Erfindungsgeist und die Bereitschaft, zu investieren und unternehmerische Risiken einzugehen. „Der Staat ist kein benevolenter, allwissender Diktator. Er besteht aus Institutionen, in denen Menschen – Politiker, Lobbygruppen, Wähler – jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen“, schreibt Fuest.
Eindrücklich warnt er vor einer „Coronasklerose“ – eine wirtschaftliche Stagnation als Folge der Pandemie, die über Jahre anhält. Die Krise bringe Belastungen mit sich, die in Kombination mit bereits vorher vorhandenen Schwierigkeiten lähmende Wirkung entfalten können.
Fuest entlarvt die Behauptung, dass es bei der Bekämpfung der Pandemie einen Gegensatz zwischen wirtschaftlichen Interessen und der Gesundheit gebe. Denn eine positive wirtschaftliche Entwicklung sei bei unkontrollierter Ausbreitung des Virus nicht möglich, warnt Fuest.
Insgesamt argumentiert Fuest ebenso nüchtern wie überzeugend — und das in einer allgemeinverständlichen Sprache. Er nimmt den Leser mit auf einen wirtschaftspolitischen Exkurs – ohne dass ein eindeutiges Ziel vor Augen läge. Das kontinuierliche Abwägen zwischen Markt- und Staatsversagen ist anstrengend, aber gerade in dieser Krise unverzichtbar.
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