Zum ersten Treffen der “Deutschen Islam-Konferenz” 2006 servierte das unionsgeführte Innenministerium Schinkenschnittchen. Also Schweinefleisch. Keine Ahnung, ob das launige Rücksichtlosigkeit oder Unwissenheit war. Ich halte es für gut möglich, dass vor zwölf Jahren noch niemand in der CDU einen Muslim oder eine Muslimin kannte, geschweige denn ihre Essgewohnheiten. Heute ist das anders.
Irgendwann unter Angela Dorothea Merkel hat die CDU eingesehen, dass sie sich für Minderheiten öffnen muss. Die Parteichefin wollte, dass sich nicht nur Russlanddeutsche in der Union wiederfinden. Und sie hat es geschafft.
Für die Jüngeren unter uns: Migranten in der Union, das war revolutionär! Die CDU war immer die Anti-Ausländer-Partei. Fast jede Rede von Unions-Politikern stellte klar: Migranten sind ein Problem. Sie gehören nicht dazu. Die Botschaft an Leute wie meine Eltern: Lernt erst mal Deutsch. Und wie man mit Messer und Gabel isst.
Die Christlich Demokratische Union verhielt sich in Sachen Einwanderungsland wie ein Elefant im Porzellanladen. Also so, wie die CSU noch heute.
Doch Merkel zivilisierte ihre Partei. Sie brachte der CDU Manieren gegenüber den “ausländischen Mitbürgern” bei. Und setzte neue Botschaften: Es war kein SPD-Kanzler, sondern Angela Merkel, die Integration “zur Chefsache” erklärte. Und sie ist es, die seit über zehn Jahren Migrantenverbände ins Kanzleramt einlädt. 2015 hielt sie außerdem als erste Bundeskanzlerin eine Feierstunde für Gastarbeiter ab, um ihre Leistungen zu würdigen.
Zweitausendfünfzehn! Damit war eigentlich nicht mehr zu rechnen.
Was mich in all den Jahren besonders überrascht hat: Die CDU-Frau trifft immer den richtigen Ton. Sie schafft es als erste Bundeskanzlerin, die Bürger mit Migrationsheckmeck in ihren Ansprachen nicht auszugrenzen. Das gelingt den allermeisten Politikern nicht – auch nicht bei SPD, Grünen und Linken.
Merkel, die Mutter aller Lösungen
Ich glaube ja nicht, dass Merkel aus Nächstenliebe handelt. Dafür sind ihre politischen Entscheidungen zu skrupellos. Sie ist eher der Bismarck der Integrationspolitik: Zuckerbrot und Peitsche. Unter ihr wurden krasse Asylrechtsverschärfungen beschlossen, Einbürgerung blieb abschreckend kompliziert und Antidiskriminierungspolitik ist immer noch das Aschenbrödel im Haushalt.
Aber Merkel ist eben nicht nur pragmatisch, sie ist auch eine Politikerin mit Weitsicht. Und die Zahl der Wähler mit Migrationshintergrund wächst. 2017 waren erstmals über zehn Prozent aller Wahlberechtigten Mihigrus. Wer Volkspartei bleiben will, muss also sexy werden für Deutsche mit Migrationsplus.
Stimmenfang #72 – Merkels Rückzugsplan und wer ihn torpedieren kann
Die Sozialdemokraten sahen das locker. Sie hielten es offenbar für ein Naturgesetz, dass Migranten die SPD wählen. Die schlaue Merkel dagegen dachte: Wäre doch gelacht, wenn man der SPD nicht die konservativen Türken, Jugos und Italiener abluchsen könnte. Und genau so kam es. Neuerdings steht die Union in der Gunst von Migranten und ihrer Nachkommen ganz oben, wie vor Kurzem eine Studie zeigte. Besonders gestiegen ist ihre Attraktivität bei Turkodeutschen – und das nur wegen “Anjela Märköl”. Der Mutter aller Lösungen.
Merkel hat das bestimmt nicht überrascht. Sie hat jahrelang daran gearbeitet. Den Höhepunkt ihres Vielfalt-Feldzugs mache ich vor vier Jahren aus: 2014 lud sie eine illustre Gesellschaft ins Konrad Adenauer Haus ein. Schwarze Menschen, Roma, Juden, Frauen mit Kopftuch vereint mit Parteifunktionären in der Schaltzentrale der Christdemokratie. Natürlich gab es Schweine-Wienerle, Tradition ist Tradition.
Merkel: erste Bundeskanzlerin mit Migrationshintergrund
Der Titel der Veranstaltung klang nach Kompromiss mit den Hardlinern: Zugewandert – Angekommen?! Denn es ist ein unausgesprochenes Gesetz in der CDU, dass man nicht Einwanderer sagen darf oder Einwanderungsland, sondern nur Zuwanderer und Zuwanderungsland. Ganz wichtig: nicht ein, nur zu! Merkel selbst aber ist das Wurst, sie spricht die verbotenen Worte ständig aus.
Bei der Zuwanderer-Party in der Unionszentrale erzählte sie von den Hürden, die sie selbst in der CDU nehmen musste. Manche ihrer Parteikollegen hätten ihr, der ostdeutschen Frau, auch nicht zugetraut, dass sie die Regeln kennt.
Einmal musste sie in der Zeitung lesen, dass sie jemand als “Zonenwachtel” beschimpft hatte. “Man darf sich von kleinen Widrigkeiten nicht abhalten lassen”, riet sie den Migranten und neuen Deutschen, quasi von Minderheit zu Minderheit.
Merkel gehört übrigens zu den Leuten, auf die die Bezeichnung “mit Migrationshintergrund” perfekt passt. Denn während die meisten Mihigrus eher einen Migrationsvordergrund haben, kann man den von Merkel nicht erkennen. Aber ihr Vater hieß Horst Kazmierczak, bevor er seinen Namen in Kasner eindeutschen ließ. Später nahm Merkel den Nachnamen ihres Ehemannes an.
Schade eigentlich. Kanzlerin Kazmierczak, erste Frau und Bundeskanzlerin mit Migrationshintergrund. Hätte mir gut gefallen.