ErfurtDer Herbst schickt keine guten Vorboten für den Jahresendlauf der Frankfurter Börse. Auf den Kursrutsch im Oktober folgt ein bislang verhaltener November. Getrübte Konjunkturaussichten und Gewinnwarnungen von Konzernen wie jüngst Thyssen-Krupp, Daimler oder Heidelberg Cement wiegen schwer auf den Börsen-Gemütern. Während mancher Analyst derzeit wieder günstige Einstiegskurse erkennt, verzagt der Mut der Anleger.
Die jüngste Auswertung des Dax-Sentiments, für das wöchentlich mehr als 3200 Anleger befragt werden, zeigt eine deutliche Entwicklung: Die Zahl derer, die im Moment einen Aufwärtsimpuls sehen, schmilzt.
Sie verringerte sich in der vergangenen Woche um 15 auf jetzt nur noch sieben Prozent. Mit jeweils 36 Prozent glaubt indes die Mehrheit entweder an eine Seitwärts- oder eine weitere Abwärtsbewegung. „Damit ist die Stimmung wieder im Keller“, analysiert Stefan Heibel. Der Inhaber des Analysehauses Animusx wertet wöchentlich die Ergebnisse der Umfrage aus.
Seit Ende Oktober gelang dem deutschen Leitindex zwischenzeitlich zwar eine kleine Erholung von damals unter 11.200 auf mittlerweile knapp 11.500 Punkte. In der vergangenen Woche gab es jedoch kaum eine Veränderung.
Aus technischer Sicht befindet sich der Dax näher an einer Schwelle zu niedrigeren Kursen als zu höheren. „Das Hoch bei 11.661 [Punkten] ist für die Bullen ganz entscheidend, auf der anderen Seite müssten die Bären das Tief bei 11.416 [Punkten] im Visier haben“, erklärt Martin Chmaj, Chefanalyst des Onlinebrokers GKFX.
Insgesamt dominiert Verunsicherung. Ein einheitliches Bild zeichnet sich an den deutschen Börsen nicht ab. Im Gegenteil: Die Quartalszahlen der Konzerne reißen den Dax mal nach oben, dann wieder nach unten. Während die Continental-Aktie in der vergangenen Woche mehr als sieben Prozent verlor, schoss die Aktie von Siemens Healthineers um 7,5 Prozent in die Höhe.
Das strahlt offenbar auf die Anlagebereitschaft ab: „Es ist ein komplettes Durcheinander, wer sich offensiv oder defensiv positioniert hat, wer optimistisch ist, oder wer pessimistisch“, sagt Heibel.
In welcher Zyklusphase befinden sich die Märkte Ihrer Meinung nach aktuell?
Angaben in Prozent
Manche Bank sieht in der aktuellen Lage durchaus gute Einstiegschancen: Die LBBW etwa hält den Dax mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12,3 für günstig bewertet und sieht für „längerfristig orientierte Investoren in der laufenden Korrektur bei europäischen Aktien ein attraktives Chance-Risikoverhältnis.“
Christian Kahler, Analyst von der DZ Bank, hält zwar übermäßigen Optimismus angesichts der unsteten konjunkturellen und politischen Lage für unangebracht. Er glaubt aber dennoch an steigende Kurse. Bis Ende März, so seine Prognose, könnte der Dax wieder auf 13.300 Zähler steigen.
Auch das Put-Call-Ratio der Eurex, einem Sentiment, das die Positionierung von Profis misst, ist zuletzt gestiegen. Mit einem Verhältnis von 1,2 zeigt es im Moment eine leichte Übergewichtung von Kauf-Optionen. Profis setzen demnach auf steigende Kurse.
In den USA beobachtet Heibel von Animusx ein rückläufiges Put/Call-Verhältnis an der Derivate-Börse CBOE von einem „extrem hohen Niveau“. In anderen Worten: Anleger fahren dort ihre Absicherung vor fallenden Kurse langsam zurück. Zudem liege die Investitionsquote der Fondsmanager mit 65 Prozent auf einem extrem niedrigen Niveau. „Da lauert noch eine Menge Kapital an der Seitenlinie“, sagt Heibel.
Haben sich Ihre Erwartungen zum Dax in der vergangenen Woche erfüllt?
Angaben in Prozent
Die großen Unsicherheiten der vergangenen Monate sind aber weiter nicht ausgeräumt: Da wäre der Zwist um den italienischen Haushaltsentwurf, der ungewisse Verhandlungsausgang zum Brexit und auch der nach wie vor andauernde Handelskonflikt.
Kurzfristig bleiben die Privatanleger skeptisch. In den kommenden Monaten erwartet rund ein Drittel der Anleger des Dax-Sentiments eine Abwärtsbewegung. Ein weiteres Drittel geht von stabilen Kursen aus. Nur noch 28 Prozent – sieben Prozent weniger als noch in der Vorwoche – bleiben optimistisch und erwarten steigende Kurse.
„Damit ist die Hoffnung der Vorwochen auf eine nachhaltige Erholung verflogen, Zukunftspessimismus macht sich breit“, sagt Heibel. Die gestiegenen Handelsvolumina an den Aktienmärkten interpretiert er als Zeichen, dass nun viele Anleger ihre Portfolien umschichten. Weniger als ein Fünftel der Umfrageteilnehmer möchte in den kommenden zwei Wochen zukaufen. 16 Prozent wollen verkaufen.
Mit einem Anteil von zwei Dritteln ist das Lager derer, die abwarten wollen, am größten. Diese Einstellung zeigt sich auch in anderen Barometern: Das Euwax-Sentiment der Börse-Stuttgart, das die Stimmung der Anleger mittels der Positionierung auf Hebelprodukte misst, ist nach jüngsten Spekulationen auf steigende Kurse wieder auf einen Wert von 0,7 und damit in den neutralen Bereich zurückgefallen.
Welche Zyklusphase erwarten Sie in drei Monaten??
Angaben in Prozent
Trotz der Zurückhaltung sieht Börsenexperte Heibel in den jüngsten Daten keinen Grund zu Sorge. Er zieht sogar ein positives Fazit: „Aus Sicht der Sentiment-Theorie ist der Einbruch bei der Zukunftserwartung, die dem Pessimismus wieder den Vorrang gibt, langfristig gar nicht schlecht. Wenngleich kurzfristig kaum jemand zu Käufen bereit sein wird, ist doch eine gehörige Portion Weltuntergangsstimmung eine wichtige Zutat für einen tragfähigen Boden.“
Denn wenn die Mehrheit der Verkaufswilligen erst einmal verkauft hat, bleibt kaum noch Raum für Verkäufe, ohne dass ihnen eine große Zahl Käufer entgegentritt. Das könnten wiederum diejenigen sein, die in den aktuellen Kursen günstige Einstiegschancen sehen.
Werden Sie in den nächsten beiden Wochen handeln?
Angaben in Prozent
Mit neuen Tiefständen im Dax rechnet Heibel nicht. Das Durcheinander bei Privatanlegern und Institutionellen, bei US- und deutschen Anlegern deutet er gewissermaßen als konstruktives Chaos, aus dem eine neue Aufwärtsbewegung hervorgehen kann.
Die Handelsblatt-Umfrage startet jeden Freitag und endet am Sonntag. Die Auswertung lesen Sie tags darauf auf Handelsblatt Online. Einfacher haben es Leser, die sich für eine kostenlose Erinnerungsmail eintragen. Sie erhalten automatisch eine E-Mail mit der Bitte, an der Umfrage teilzunehmen, und eine, wenn die Experten-Auswertung auf Handelsblatt Online zu lesen ist.