Für die Grünen hat Friedrich Merz in diesen Tagen viel Lob übrig: “Sehr bürgerlich, sehr offen, sehr liberal und sicherlich auch partnerfähig” sei die Partei, sagte er jüngst der “Bild am Sonntag”. Dass das früher noch ganz anders aussah, räumte der CDU-Politiker in dem Gespräch selbst ein: Da habe er zu den Grünen ein “extrem kritisches” Verhältnis gehabt.
Fast zehn Jahre hat Merz im selbst gewählten Politiker-Exil verbracht. Zehn Jahre, in denen sich die politische Landschaft in Deutschland sehr verändert hat. Nicht nur sind die Grünen in die Mitte gerückt. Auch hat Angela Merkel derweil die CDU modernisiert – sozialdemokratisiert, wie ihre Gegner beklagen.
Und Friedrich Merz? Nun, da seine Rivalin Merkel ihren Rückzug eingeleitet hat, wittert der 63-Jährige seine Chance. Er will Parteichef werden, am Abend stellt er sich gemeinsam mit seinen Mitbewerbern Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn in Lübeck erstmals der CDU-Basis. Der Hype um seinen Comeback-Versuch ist bemerkenswert. Merz verkörpert eine in Teilen der CDU verbreitete Sehnsucht nach alter Stärke, nach einer Rückbesinnung auf den konservativen Markenkern.
Merz verspricht “Aufbruch und Erneuerung”. Aber kann ein Mann der Vergangenheit die Partei wirklich in die Zukunft führen? Hat sich auch Merz verändert?
Ein Blick zurück zeigt: Wirtschafts- und finanzpolitisch mag Merz stets als Radikalreformer aufgefallen sein – in Erinnerung sind Vorstöße wie die Steuerberechnung auf dem Bierdeckel, die Aufweichung des Kündigungsschutzes oder eine Sonderwirtschaftszone für Ostdeutschland. Aber wenn es um gesellschaftliche Erneuerung ging, stand der frühere Unionsfraktionschef oft auf der Bremse.
“Familie, Kinder,
Kirche, Vaterland”
“Er ist ein richtiger Konservativer: Familie, Kinder, Kirche, Vaterland und möglichst nicht so viele Ausländer”, befand die “Welt” noch 2007, nachdem er seinen Abschied aus dem Bundestag angekündigt hatte.
Nachzulesen sind in den Archiven vom Anfang der Nullerjahre Sätze, die heute in gewissen Kreisen wieder Konjunktur haben – Sätze wie: “Wer sich nicht an die Gesetze und das Gastrecht hält, der muss raus.” Oder: “Wir haben Probleme in Deutschland mit Ausländern.” Darüber aber, konstatierte er , dürfe “man öffentlich nicht streiten”. Solche Aussagen ließen die “Bild”-Zeitung jüngst gar die Frage stellen, ob es die AfD mit Merz an der Spitze der CDU womöglich nie gegeben hätte.
Nicht selten war Merz konservativer als die Mehrheit seiner Fraktion – schon lange vor dem Beginn der Ära Angela Merkel. Als 1995 über eine Neuregelung des Abtreibungsrechts entschieden wurde, stimmte der Katholik nicht für die von der Unionsmehrheit unterstützte Kompromisslösung, sondern für einen restriktiveren Alternativvorschlag.
1997 beschloss der Bundestag fraktionsübergreifend, Vergewaltigungen nicht mehr nur “außerehelich” zu bestrafen – Merz stimmte mit 137 anderen Abgeordneten dagegen. Zuvor hatten konservative Unionspolitiker gewarnt, die Ehe verliere an Wert, wenn Frauen ihren Partner wegen Vergewaltigung vor Gericht bringen könnten. Andere forderten, zumindest eine “Widerspruchsklausel” einzuführen, um bereits laufende Verfahren zum “Erhalt der Ehe” stoppen zu können. Merz beteiligte sich dem Protokoll zufolge nicht an der entscheidenden Debatte um Vergewaltigung in der Ehe. Dokumentiert ist dagegen seine Ablehnung (mehr dazu lesen Sie hier im aktuellen SPIEGEL).
“Solange
er sich mir nicht nähert, ist mir das egal!”
Auch außerhalb des Plenarsaals machte Merz nicht den Eindruck, dass ihn die gesellschaftliche Erstarrung der Kohl-Jahre sonderlich störte. Der SPIEGEL zitiert aus einer Parteitagsrede: “Ich möchte mich verdammt nochmal bei niemandem in diesem Land entschuldigen müssen, dass ich seit 20 Jahren mit derselben Frau verheiratet bin und dies auch in den nächsten 20 Jahren zu bleiben gedenke.”
Immer wieder machte er Stimmung gegen die rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben. Der “Bunten” vertraute Merz einst an, was ihm zu Berlins damaligem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit in den Sinn kam: “Solange er sich mir nicht nähert, ist mir das egal!”
Bei einer Rede vor Tausenden CDU-Fans in Oberhausen versicherte er einmal bierzelttauglich, er habe nichts gegen die Homo-Ehe – “solange ich da nicht mitmachen muss”. In der ersten Reihe saß laut dem “Stern” damals auch Angela Merkel. Sie lachte nicht.
Am Mittwoch wurde Merz in einer Online-Talkrunde der “Bild” erneut auf seine Haltung zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft angesprochen. “Ich habe damit kein Problem”, erklärte er dort und nannte die Entscheidung zur Gleichstellung “richtig”, beklagte aber, dass sie “Hauruck und über Nacht” getroffen worden sei. Er hätte sich eine breitere, öffentliche Debatte darüber und eine Grundgesetzänderung gewünscht.
Ähnlich äußerte er sich bei dieser Gelegenheit auch zur Abschaffung der Wehrpflicht und zum Ausstieg aus der Atomenergie, die von Konservativen in der Union gern als Beleg für die Aufweichung des Markenkerns angeführt wurden. Beide Schritte seien richtig, aber zu schnell vollzogen worden.
Zurückdrehen wird er die Zeit nicht können, das ist auch Merz bewusst. Aber ob das reicht, die CDU zu überzeugen? Und irgendwann womöglich sogar die Grünen für sich zu gewinnen? Dass er die Ökopartei heute als potenziellen Partner sieht, hat wohl vor allem mit den verbliebenen Machtoptionen in einer GroKo-müden Republik zu tun.