Euro-Krise, Schuldenblase, Emerging Markets: Dirk Müller warnt im Interview vor gefährlichen Risikoherden. FOCUS-Money erklärt die Hintergründe und was jetzt passieren muss, um das Systemversagen zu stoppen.
FOCUS-Money: Italien ist wegen seiner Haushaltspolitik auf Konfrontationskurs mit Brüssel. Ist die Euro-Krise wieder da?
Dirk Müller: In Wahrheit war sie nie wirklich weg. Sie ist nur etwas aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten, aber die Grundprobleme sind die gleichen, wie wir sie vor acht Jahren hatten.
Money: Also die Überschuldung der Südländer?
Müller: Genau. Wenn es nach Conte und Salvini geht, sollen die Staatsschulden Italiens, die bereits jetzt bei 130 Prozent des BIP liegen, kräftig anziehen. Alle Zusagen der alten Regierung an die EZB und die europäischen Staaten werden damit einfach über Bord geworfen. Das Motto lautet jetzt: Was soll’s, wir drucken einfach fröhlich weiter, genau wie zu Zeiten der Lira.
Money: Aber Italien gerät doch durch die steigenden Spreads bei den Anleihen schon ordentlich unter Druck. Rom kann sich die neuen Schulden doch gar nicht leisten …
Müller: Das ist richtig. Aber in der italienischen Regierung sagt man einfach: Wenn wir jetzt kippen, dann kippt auch das europäische Bankensystem. Die Italiener bauen eine enorme Drohkulisse auf.
Money: Womit können sie Europa denn so unter Druck setzen?
Müller: Italien hat kein Interesse, aus dem Euro auszutreten. Sie sagen: Wenn wir kippen, kippt Europa, also zahlt.
Money: Ist Italien das neue Griechenland?
Müller: Das Italien-Problem ist viel schlimmer. Griechenland hat gerade einmal die Wirtschaftsleistung von Hessen. Selbst mit einem Worst-Case-Szenario hätten wir damals relativ einfach umgehen können. Italien ist dagegen eine der größten Wirtschaftsregionen Europas. Eine völlig andere Hausnummer! Wir dürfen nicht vergessen, dass allein über 360 Milliarden Euro an faulen Krediten bei italienischen Banken liegen.
Money: Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding sagt dazu, eine echte Euro-Krise, die ganz Europa nachhaltig erschüttern könnte, sei höchst unwahrscheinlich. Italien gefährde vor allem sich selbst. Immerhin liegen rund 66 Prozent der italienischen Schulden auch bei der EZB oder Inländern. Warum überlassen wir sie nicht einfach ihrem Schicksal?
Müller: Das Problem sind vor allem die italienischen Banken. In deren Büchern liegen sehr viele italienische Staatsanleihen. Müssen sie hohe Summen abschreiben, weil beispielsweise die Ratings weiter gesenkt werden, dann kippen die Banken in Italien reihenweise um. Und das europäische Bankensystem ist einfach viel zu eng verzahnt, als dass wir uns da einfach raushalten könnten.
Money: Wie gefährlich ist die Situation für Deutschland?
Müller: Das kommt ganz darauf an, wie man in Europa weiter damit umgehen wird. Im Grunde stehen wir ja vor der gleichen Situation wie vor acht Jahren in Griechenland. Mit einem Unterschied. Griechenland hatte auch gegenüber Deutschland ein relativ geringes Erpressungspotenzial. Bei Italien sieht die Lage deutlich bedrohlicher aus. Das heißt, am Ende wird ein Kollaps in Italien auch gravierende Folgen zum Beispiel für die Banken in Deutschland haben.
Money: Könnte das auch heißen, die deutschen Steuerzahler müssen im schlimmsten Fall schon wieder die Banken retten?
Müller: Das würde ich in Folge einer Kettenreaktion absolut nicht ausschließen.
Zwangsanleihe für reiche Italiener?
Money: Die Bundesbank hat in einem Vorschlag eine Zwangsanleihe für reiche Italiener ins Spiel gebracht. Wäre das nicht eine gangbare Lösung?
Müller: Meiner Meinung nach wäre das ein sehr gefährlicher Schritt. Damit würde der Volkshaftung Tür und Tor geöffnet. In Zukunft heißt es dann, die Banken bauen Mist, und die Bürger müssen ihr Geld dafür hergeben. Die Gewinne kassieren aber selbstverständlich weiter die wenigen Aktionäre. Das würde man wahrscheinlich dann in Deutschland auch gern einführen.
Money: Also können wir uns im Grunde nur aussuchen, ob wir Italien munter weiter finanzieren oder zusammen untergehen?
Müller: So sieht es momentan aus. Den italienischen Banken steht das Wasser bis zum Hals. Es gab ja in den letzten drei Jahren eine Reihe Beinahe-Pleiten. Denken Sie nur an den Fall der Monte dei Paschi. Die Bank konnte nur mit etlichen Milliarden vor dem Untergang bewahrt werden. Und das in einer Phase, in der die Weltkonjunktur und die europäische Konjuktur auf Hochtouren liefen …
Money: … die sich womöglich jetzt deutlich abschwächen wird.
Müller: Man will sich gar nicht vorstellen, was in Italien los sein wird, wenn die Wirtschaft jetzt anfängt zu schwächeln oder sogar eine Vollbremsung hinlegt. Es ist schon jetzt absehbar, dass die italienischen Probleme uns dann um die Ohren fliegen werden.
Money: EZB-Präsident Mario Draghi erteilte den italienischen Forderungen nach Hilfen bisher allerdings eine Absage. Wer wird bei diesem Pokerspiel am Ende gewinnen, Brüssel oder Rom?
Müller: Ich gehe davon aus, dass Brüssel nachgibt. Italien ist sich seines Erpressungspotenzials sehr bewusst. Wenn man keinen Weg findet, direkten Einfluss auf einzelne Personen in der italienischen Regierung auszuüben, so wie es offenbar in Griechenland mit Tsipras gelungen ist, sind die Italiener in einer wesentlich stärkeren Verhandlungsposition. Man wird in Brüssel den Euro nicht aufgeben. Man wird Europa nicht aufgeben. Im Zweifel werden da eher die Stabilitätskriterien über Bord geworfen. Die italienische Regierung weiß das, und sie spielt ihre Karten zumindest momentan sehr gut aus.
Italien auf Konfrontationskurs
Money: Warum gehen die Italiener eigentlich derart auf Konfrontationskurs?
Müller: Was bleibt ihnen denn anderes übrig? Das Kernproblem ist ja der Euro, der so, wie er momentan konzipiert ist, schlicht nicht funktionieren kann. Das Ganze ist ein Systemversagen. Jedes Land braucht eine Währung, die zu seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit passt, ansonsten kommt es unweigerlich zu Verwerfungen.
Money: Also selbst wenn wir Italien dieses Mal retten, ist die nächste Krise schon vorprogrammiert?
Müller: Genau. Wir müssen endlich einsehen, dass der Euro für Länder wie Griechenland und eben auch Italien einfach viel zu stark ist. Die Annahme, dass wir es schaffen, diese Länder auf das wirtschaftliche Niveau anderer europäischen Staaten wie beispielsweise Österreich zu heben, ist grundlegend falsch. Das wird zu unseren Lebzeiten einfach nicht passieren.
Money: Die Folge ist …
Müller:… dass diese Länder im Korsett der Gemeinschaftswährung niemals erfolgreich wirtschaften werden können.
Money: Wenn die Italiener merken, dass der Euro für sie langfristig nicht tragbar ist, warum wollen sie dann im Euro bleiben, das ist doch paradox oder etwa nicht?
Müller: Es ist für Italien ganz einfach bequemer, drinzubleiben. Sie können ja die anderen Länder zum Zahlen zwingen. Am sinnvollsten wäre es natürlich, Italien aus dem Euro in eine eigene Währung zu entlassen und einen langsamen, vernünftigen Übergang zu gewährleisten. Aber das wird Europa nicht machen.
Mögliche Lösungen
Money: Was wäre dann ein möglicher Ausweg?
Müller: Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Beispiel geben: Das Saarland hat nicht die gleiche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wie Baden-Württemberg. Die Unterschiede zwischen diesen Regionen können nicht durch eigene Währungen ausgeglichen werden. Also gibt es nur eine Möglichkeit: Transferzahlungen. Zum einen über den Länderfinanzausgleich, aber auch über die Sozialsysteme der Bundesrepublik. Wenn Italien und Griechenland schon keine eigene Währung haben dürfen, werden wir dann massive Transferzahlungen leisten müssen? Das ist es, was die Italiener gerade erkennen. Da sagen sie natürlich, o.k., Freunde, ihr wollt unbedingt den Euro, dann zahlt auch gefälligst dafür.
Money: Wäre eine Transferunion Ihrer Meinung nach also die richtige Lösung?
Müller: Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre diese Variante einfach nur logisch. Aus meiner eigenen Sicht als Deutscher sage ich natürlich, ich habe keine große Lust, mit meinem Geld Transferzahlungen nach Italien zu finanzieren. Vor allem nicht, solange sich die Strukturen dort nicht grundlegend ändern. Aber selbst wenn Italien alle Gesetze und Regeln von heute auf morgen an Deutschland angleichen würde, wären sie immer noch hintendran, und wir müssten bezahlen.
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Money: Draghi kauft Italien durch seine Geldpolitik und die niedrigen Zinsen doch im Grunde die Zeit für Reformen. Warum wird in Italien nicht auf Teufel komm raus zum Beispiel in die Infrastruktur investiert?
Müller: Wenn ich bei meinem Beispiel Saarland bleibe, selbst in Deutschland haben wir es bis heute nicht geschafft, die Wirtschaftskraft aller Regionen auf das gleiche Level zu bringen.
Money: Warum klappt das nicht?
Müller: Das liegt einfach an strukturellen Gegebenheiten, die über Generationen so gewachsen sind. Über Jahrzehnte sind gewisse Industriestrukturen einfach verloren gegangen. So ist es auch im Süden Italiens. Der Norden ist ja absolut wettbewerbsfähig, aber im Süden ist das nicht der Fall. Das liegt eben an gesellschaftlichen Strukturen, die man nicht von heute auf morgen durch ein paar neue Gesetze ändern kann.
Viel gegenseitige Hilfe
Money: Ist das vielleicht auch ein Mentalitätsproblem?
Müller: Gar nicht unbedingt. Im Süden Italiens gibt es beispielsweise sehr viele Großfamilien und Familienverbände, die sich gegenseitig unterstützen. Das heißt, wenn jemand krank wird, sind Familienmitglieder zur Stelle, die sich um ihn kümmern. Oder wenn Eltern zur Arbeit gehen, werden die Kinder in der Familie betreut, und sie müssen nicht in den Kindergarten.
Money: Das klingt jetzt erst mal nicht nach einem Problem.
Müller: Für den Einzelnen ist das mit Sicherheit auch gut. Der Knackpunkt ist aber, die gegenseitige Unterstützung zahlt nichts ins Bruttoinlandsprodukt ein und bringt so auch kein Wirtschaftswachstum. In Deutschland gibt es diese Familienstrukturen nicht. Das heißt, Pflegedienste müssen bezahlt werden, es muss die Kita bezahlt werden und so weiter. Dadurch wächst das BIP. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen haben also ganz direkt volkswirtschaftliche Auswirkungen.
Money: Also bleibt uns am Ende gar nichts anderes übrig, als irgendwann Euro-Bonds zu akzeptieren?
Müller: Es gibt sehr wohl einen anderen Ausweg. Wir müssten nur über eine sinnvolle Alternative zum Euro nachdenken.
Money: Der Ökonom Max Otte brachte kürzlich einen „Dexit“, also den Euro-Austritt Deutschlands ins Spiel. Wäre das vielleicht auch eine mögliche Lösung?
Müller: Die Südländer würden damit vielleicht kurzfristig wirklich etwas besser dastehen, weil der ganz Starke aus der Währung raus ist. Aber auch unter den übrigen Ländern gibt es genügend Ungleichheiten. Wir hätten also bald wieder das gleiche Problem.
Money: Würde Deutschland mit einem Austritt aus dem Euro nicht auch seinen Wohlstand gefährden?
Müller: Es heißt ja immer, Deutschland hätte so stark vom Euro profitiert. Das stimmt. Aber man muss sich anschauen, wer in Deutschland den größten Nutzen hat. Es sind vor allem die großen Exportunternehmen, die extrem von einem Euro profitieren, der für die Leistungsfähigkeit Deutschlands eigentlich zu schwach ist. Aber im Umkehrschluss bedeutet das eben auch, dass das Geld, das der einfache Bürger hier verdient, 20 Prozent zu wenig Kaufkraft hat.
Money: Wie wirkt sich das aus?
Müller: Ganz einfach, wir müssen für Importprodukte wie zum Beispiel Benzin oder iPhones mehr bezahlen. Das kann man sehr genau in den Leistungsbilanzen ablesen. Deutschland hat einen starken Export, aber eine schwache Binnennachfrage. Die deutsche Bevölkerung subventioniert also die Exporte der Großkonzerne.
“Ich würde den Euro nicht ganz abschaffen wollen”
Money: Also weg mit dem Euro?
Müller: Ich würde den Euro gar nicht ganz abschaffen wollen, sondern ihn einfach so umbauen, dass er langfristig auch funktionieren kann – für die Südländer und für Deutschland. Ein Beispiel ist die Europäische Währungseinheit (ECU) die von 1979 bis 1998 die Rechnungseinheit der Europäischen Gemeinschaft war. Man könnte heute analog wieder nationale Währungen für die einzelnen Länder einführen und den Euro als übergeordnete Abrechnungswährung behalten. So wie es der ECU damals war. Es wäre damit auch weiter möglich, Verträge zwischen Ländern oder Unternehmen in Euro zu schließen. Aber die nationalen Zahlmechanismen und auch die Steuern würden in der heimischen Währung bezahlt, wir könnten sogar die Münzen und Scheine behalten. Solange der Euro aber sakrosankt ist, werden wir in Europa von einer Krise in die nächste schlittern.
Money: Gibt es neben Italien noch weitere Risiken in der Welt?
Müller: Global gesehen, ist für mich China aktuell der gefährlichste Risikoherd. Wir haben dort die größte Blase der Weltwirtschaftsgeschichte.
Money: Wieso?
Müller: Als sich die Chinesen der Weltwirtschaft geöffnet haben, war das unglaublich attraktiv für Investoren. Wie die Goldgräber im Wilden Westen sind sie dort einmarschiert mit Hunderten von Milliarden Dollar und haben dort Immobilien und Unternehmensbeteiligungen gekauft.
Money: Und was ist das Problem dabei?
Müller: Viele Städte in China sind reine Geisterstädte. Die Immobilien stehen zwar da, sind aber leer und ungenutzt. Glauben Sie wirklich, die sind was wert? Auch die chinesischen Firmen haben massive Probleme.
Money: Woran machen Sie das fest in China?
Müller: Einer der größten Konzerne Chinas, HNA, ist 2017 unter anderem bei der Deutschen Bank mit zehn Prozent eingestiegen. Die saßen auf einem Haufen Geld, und jetzt haben sie einen Haufen Probleme und massive Zahlungsschwierigkeiten. Deswegen müssen sie mit hohen Verlusten ihre Anteile an der Deutschen Bank verkaufen. Da schrillen bei mir alle Alarmglocken.
Money: Warum?
Müller: Wenn es den großen Konzernen in China schon so dreckig geht, dann können Sie sich ja vorstellen, was bei den kleineren Unternehmen los ist.
Money: Aber China wächst doch weiterhin …
Müller: Heute liegt das Wachstum in China offiziell bei 6,5 Prozent, aber selbst diese Zahl muss man anzweifeln. Die offiziellen chinesischen Daten muss man seit Jahren stark in Frage stellen.
Money: Was wäre die Folge, wenn das Wachstum nachlässt?
Müller: Fällt das Wachstum in China auf fünf Prozent und steigen die Zinsen in den USA auf vier oder fünf Prozent, dann wird es richtig ungemütlich. Wer investiert dann noch in China bei den Risiken? Dann werden die Investoren ihr Geld aus China abziehen und ihre Kredite in den USA zurückzahlen. Und genau das passiert im Moment schon. China wurde aufgepumpt wie ein Ballon – und die USA können ihn jederzeit zum Platzen bringen durch höhere Zinsen. Das wird den USA auch wehtun, aber China wird dann in eine katastrophale Rezession rutschen, in der viele Strukturen zerbrechen.
Money: Aber die Zinsen in den USA sind doch schon gestiegen – und bislang ist alles weitgehend gut gegangen.
Müller: Na ja, wir sind gerade mal bei drei Prozent am langen Ende. Schauen Sie sich doch einfach mal an, was bereits mit den Währungen der Schwellenländer passiert ist. Die steigenden US-Zinsen bringen die Länder in die Bredouille, die sich in US-Dollar verschuldet haben. Sie müssen nicht nur höhere Zinsen bezahlen für ihre Schulden, sondern der Wert ihrer Währung nimmt auch ab gegenüber dem US-Dollar. Das ist ein doppelter Schlag ins Kontor und wird vielen Schwellenländern massive Probleme bereiten. Die Türkei, Indien, Indonesien und einige südamerikanische Staaten sind bereits schwer getroffen.
Money: Aber in China selbst gibt es noch keine Probleme …
Müller: Sehe ich anders. Auch dort haben die Investoren schon begonnen, ihr Geld abzuziehen. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Wenn die US-Banken mit chinesischen Großkonzernen keine Geschäfte mehr machen wollen und diese teilweise neun Prozent Zinsen für ihre Kredite bezahlen müssen, dann wissen wir, was das Stündlein geschlagen hat.
“Ich glaube, dass die Amerikaner ein Interesse daran haben”
Money: Aber die Chinesen werden doch im Notfall gegensteuern …
Müller: Das machen sie schon seit Jahren mit massivem Aufwand. Und das kann auch noch mal zehn Jahre klappen. Aber es wird böse enden. Die Unternehmen sind massiv verschuldet, mit über 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Und von denen machen viele nicht mal einen Gewinn und finanzieren mit Schulden nur ihre Verluste.
Money: Ohne China wankt das Wachstum weltweit. Werden es die USA so weit kommen lassen?
Müller: Ich glaube sogar, dass die Amerikaner ein Interesse daran haben, die chinesische Blase platzen zu lassen.
Money: Wie kommen Sie denn darauf?
Müller: Es geht um Geostrategie und Macht. Diese beiden Aspekte sind immer wichtiger als Geld. Wird Amerika einfach weiter zuschauen, wie China zur Weltmacht Nummer eins aufsteigt? Ich glaube, dass die Amis der mächtige Hegemon bleiben möchten, der sie in den vergangenen 100 Jahren waren.
Money: Deshalb provozieren die Amerikaner einen Wirtschaftskrieg?
Müller: Die Amerikaner haben zwei Stellschrauben, die militärische und die wirtschaftliche. Militärisch scheidet aus, da beide Staaten Atommächte sind. Also richtet man Zölle ein und hebt die Zinsen an.
Money: Muss es denn jetzt zwingend zum Crash kommen?
Müller: Es kann auch noch mal fünf Jahre gut gehen. Die Notenbanken schmeißen die Druckerpresse an, oder Trump nimmt die Zölle zurück, und schon könnte sich wieder alles beruhigen. Ich sage nur: Die Risiken sind hoch, – und die Erde bebt bereits!
“Wir reden hier über das Platzen von China”
Money: Wird der nächste Crash der schlimmste aller Zeiten?
Müller: Im Vergleich zu dem, was sich momentan zusammenbraut, war die letzte Finanzkrise ein laues Lüftchen. Mittlerweile sind die Schulden weltweit wesentlich höher als damals, egal, ob bei den Staaten, den Unternehmen oder den privaten Haushalten. Wir reden diesmal nicht über das Platzen einer überschaubaren Immobilienblase in den USA, wir reden hier über das Platzen von China. Das ist ein himmelweiter Unterschied.
Money: Wie wird die nächste Krise aussehen?
Müller: Es wird wieder eine große Vertrauenskrise im Finanzsektor entstehen mit einer einhergehenden Liquiditätsklemme. Niemand wird mehr Geld verleihen wollen, weil man nicht weiß, ob man es zurückbekommt. Aber es wird noch viel heftiger als 2008, weil die Probleme heute globaler sind.
Money: Was bedeutet das für die Aktienmärkte?
Müller: Für die könnte es in so einer Krise dramatisch werden, sie könnten massiv einbrechen.
Money: Also Finger weg von Aktien?
Müller: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich kann nur sagen, was ich für sinnvoll erachte. Ohne Absicherung blind in die Märkte zu investieren halte ich für finanziellen Selbstmord. Ich lege mir lieber qualitativ hochwertige Unternehmen ins Depot und sichere meine Positionen gegen fallende Kurse ab. Damit sind wir sehr gut gefahren in unserem Fonds, auch wenn unser System etwas erklärungsbedürftiger ist.
Money: Was ist an Ihrer Strategie erklärungsbedürftig?
Müller: Als wir den Fonds 2015 gestartet haben, hatten wir ein sehr hohes Niveau. Deswegen wollten wir nicht voll einsteigen in die Aktienmärkte und haben uns gegen mögliche Korrekturen abgesichert. Als es dann zwischenzeitlich dazu gekommen ist, haben wir uns sehr stabil gehalten und den Markt outperformt. Das ist genau das, was unsere Anleger an unserer Strategie so schätzen. Wir versuchen, die Risiken immer möglichst gering zu halten, auch wenn das mal einen oder zwei Prozentpunkte Performance kostet.
“Unsere Anleger sollen ruhig schlafen”
Money: Also legen Sie den Fokus auf den Kapitalerhalt?
Müller: Unsere Anleger sollen durchaus mitverdienen an der Börse, aber sie sollen in erster Linie ruhig schlafen. Wenn ein Anleger zu mir kommt und sagt, er habe zwei oder drei Prozent Performance verpasst, kein Problem! Damit kann ich leben. Ich möchte aber nicht, dass jemand zu mir kommt und sagt: Müller, wegen dir hat sich mein Mann aufgehängt.
Money: Was sollen Anleger denn jetzt konkret tun?
Müller: Investiert zu bleiben in qualitativ hochwertigen Unternehmen mit Absicherung über Futures gegen fallende Kurse, so wir es in unserem Fonds praktizieren, halte ich für die beste Strategie. Wenn die Märkte jetzt abrauschen, können wir so günstig nachkaufen, weil wir mit der Absicherung immer wieder neues Geld generieren.
Money: Aber man könnte als Anleger ja auch alles verkaufen und sich dann in den fallenden Markt einkaufen?
Müller: Wenn Sie das Bargeld auf Ihrem Konto haben und Ihre Bank geht pleite, dann ist das Geld futsch. Halten Sie allerdings Aktien in Ihrem Depot und die Bank geht pleite, gehören die Aktien immer noch Ihnen.
Money: Sie haben eben von Qualitätsaktien gesprochen. Um was für Unternehmen handelt es sich dabei?
Müller: Auf jeden Fall sind das Firmen, die in ihrem jeweiligen Bereich führend sind und eine dominante Marktstellung besitzen. Diese werden nicht nur massive Krisen überleben, sondern danach wieder großen Anteil an der Entwicklung der Menschen haben.
“Es ist abzusehen, dass sich die Welt vom Bargeld abwendet”
Money: Zum Beispiel?
Müller: Zum Beispiel Mastercard. Es ist jetzt schon abzusehen, dass sich die Welt vom Bargeld abwendet und künftig alles elektronisch gezahlt wird. Auch wenn jetzt eine Krise kommt, die von mir aus ein oder zwei Jahre andauert, wird Mastercard danach immer noch die Welt des bargeldlosen Bezahlens beherrschen.
Money: Gibt es weitere Qualitätskriterien für Sie?
Müller: Unternehmen sollten auch wenig Schulden haben. Dann wirken sich mögliche Zinsanstiege nicht so negativ aus.
Money: Was ist mit Gold?
Müller: Gold gehört immer mit ins Portfolio als Absicherung. Man sollte es auf jeden Fall physisch in Besitz haben als eiserne Reserve. Es ist die ultimative Sicherheit: Egal, was kommt, damit werden Sie bezahlen können.
Money: Von Anleihen würden Sie eher die Finger lassen?
Müller: Viele institutionelle Investoren nehmen kurzlaufende Staatsanleihen gern als Bargeldersatz ins Portfolio. Für mich in meiner Strategie ist diese Variante eher nichts. Die deutsche Geschichte zeigt doch: Nicht Sachwerte sind gefährlich, sondern Geld und Geldforderungen sind gefährlich.
Drei Tipps, mit denen Sie Ihre Rente erhöhen